Digitale Anwendungen wie Gesundheits- und Fitness-Apps sind in nahezu allen Lebensbereichen vertreten und somit zu einem ständigen Begleiter unseres Alltags geworden. Digitalen Interventionen wie zum Beispiel Online Präventionskursen werden auch Potenziale in der Prävention und Gesundheitsförderung zugeschrieben und sind seit geraumer Zeit als Informations- und Kommunikationstechnologie-basiertes (IKT-basierte) Selbstlernprogramm bei der Zentralen Prüfstelle (ZPP) anerkannt. Zur Anwendung dieser IKT-basierten Selbstlernprogramme müssen über einen Präventionskurs, der in Präsenz durchgeführt wird, hinaus weitere Voraussetzungen erfüllt werden.

Was ist zu diesem Thema bereits bekannt

  • Es bestehen Angebote in den Handlungsfelder Bewegungsgewohnheiten, Ernährung, Stressmanagement sowie Suchtmittelkonsum
  • Gesundheits- und Fitness-Apps stoßen bei Verbrauchern wie Patienten auf großes Interesse
  • Individuelle verhaltensbezogene Präventionsmaßnahmen, z. B. Präventionskurse, erreichen überproportional viele Frauen und älteren Versicherte

Welche neuen Erkenntnisse bringt der Artikel

  • Online Präventionskurse stellen eine Alternative zu den bestehenden Präventionskursen dar, um neue Zielgruppen zu erreichen
  • Online Präventionskurse sind eine Form von Informations- und Kommunikationstechnologie-basierte (IKT-basierte) Selbstlernprogramme
  • Spezifische Wissen zur Anlage von Online Präventionskursen bei der ZPP
  • Möglichkeiten und Grenzen von Online Präventionskurse mit

Einleitung

Das Digitale Zeitalter bringt außer dem technologischen Fortschritt zusätzliche Herausforderungen an den menschlichen Organismus mit sich. Stand früher die harte körperliche Arbeit im Vordergrund, so ist heutzutage das lange Sitzen die verbreitetste Arbeitshaltung. Dies hat diverse Problematiken für den Stoffwechsel, das Herz-Kreislauf-System und die Muskulatur zur Folge [1]. In einer Studie der Deutschen Krankenversicherung (2018) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule Köln wurden 2.885 Menschen in Deutschland zu ihrer körperlichen Aktivität befragt. Die Zusammenfassung zeigt deutlich, dass ein starker Bewegungsmangel zu verzeichnen ist. „Nicht einmal die Hälfte aller befragten Bundesbürger erreicht den Benchmark zur körperlichen Aktivität. Nur 43 Prozent realisieren in diesem Jahr die Mindestaktivitätsempfehlungen…“ [2].

Das digitale Zeitalter bietet aber auch neue Möglichkeiten des Sporttreibens. Nicht erst seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 aufgrund von „Corona“ erfreuen sich Online Gesundheits- und Fitnessangebote zunehmend einer immer größeren Beliebtheit. Laut dem Statista Digital Market Outlook steigt die Anzahl von Wearables- und Fitness-App-Nutzern seit einigen Jahren kontinuierlich und könnte im Jahr 2024 über 18 Millionen Nutzer erreichen (vgl. Abb. 1) [3].

SMC Nutzerentwicklung bei Wearables und Fitness-Apps in Deutschland in den Jahren 2017 bis 2024

Nutzerentwicklung bei Wearables und Fitness-Apps in Deutschland in den Jahren 2017 bis 2024 (in Millionen Nutzern)

Eine weitere Möglichkeit besteht in der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologie-basierte (IKT-basierte) Selbstlernprogrammen. Diese Selbstlernprogramme bieten neben den bestehenden individuellen verhaltensbezogenen Präventionskursen, die in Präsenz durchgeführt werden, die Möglichkeit Angebote online anzubieten. Zu den Präventionsangeboten im Rahmen IKT-basierter Selbstlernprogramme gehören Formate, Methoden und Techniken, die neben der möglichen selbstständigen Aneignung digital aufbereiteten Gesundheitswissens auch Methoden und Techniken zur Gesundheitsverhaltensänderung im Alltag implementieren [4]. Dies können neben den benannten Online Präventionskursen auch andere Formate wie Blended Learning-Konzepte, Onlineseminar der Fernkurse sein.  In diesem Praxisbericht wird anhand eines Online Präventionskurses das praktische Vorgehen beschrieben.

Stand der Forschung – Wirksamkeit

Ableitung für Maßnahmen

Voraussetzungen für Präventionskurse

Die Förderung der Krankenkassen für entsprechende Maßnahmen betrugen für die Gesundheitsförderung in Lebenswelten 158 Millionen Euro und für individuelle Präventionsangebote 214 Millionen Euro [5]. Die Kriterien für individuelle verhaltensbezogene Kursangebote und was bezuschusst wird, ist in der jeweils aktuellen Fassung des Leitfadens Prävention niedergeschrieben [6]. Die Übereinstimmung von Kursmaßnahmen mit den Qualitätskriterien des Leitfadens Prävention wiederum wird seit dem 01. Januar 2014 zentral und kassenartenübergreifend durch die Zentrale Prüfstelle Prävention (ZPP) geprüft [7].

Online Präventionskurs – Konzeption, Inhalte und Anlage im Portal der ZPP

Wie bei „klassischen“ Präventionskursen müssen bei Online Präventionskursen ein konzeptioneller Rahmen, Stundenverlaufspläne sowie Teilnehmerunterlagen eingereicht werden und unterliegen den formalen Anforderungen des Leitfadens Prävention. Hinzu kommen spezifische Datenschutz- und Evaluationsanforderungen.

  1. Konzeptioneller Rahmen

Der konzeptionelle Rahmen beschreibt Ziele, Inhalte, Methoden, Zielgruppe sowie Dauer und Umfang des Kurses. Zusammen mit den Stundenverlaufsplänen ergibt der konzeptionelle Rahmen das eigentliche Konzept.

  1. Stundenverlaufsplanung

Es bedarf der Ausarbeitung von Stundenverlaufsplänen und Teilnehmerunterlagen. Die Struktur des Stundenverlaufsplans ist vorgegeben, Stundenaufbau mit Themenschwerpunkten, Zielen, Inhalten und die methodisch-didaktische Vorgehensweise müssen dargestellt werden. Bei der Erstellung ist zu beachten, dass auch alle Online-Inhalte zeitlich dargestellt werden. Dies sind neben der Informationsphase, die als Video aber auch in Schriftform dargestellt werden kann, der Praxisteil sowie Dokumentation der Teilnahme (z.B. Abfrage der Erfolgskontrolle zur Sicherstellung der Teilnahme).

  1. Teilnehmerunterlagen

Teilnehmerunterlagen können in Schriftform oder als Video zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich müssen diese aber auch als Handout zum Download zur Verfügung stehen. Diese müssen den Kursinhalt wiedergeben, Übungspläne für zu Hause enthalten und Literaturempfehlungen geben, um den Alltagstransfer sowie die Nachhaltigkeit beim Kursteilnehmer zu sichern (Sicherung von Effekt- und Handlungswissen).

  1. Selbstverpflichtung zur Evaluation, Datenschutzerklärung

Aufgrund der Schnelllebigkeit von internetbasierten Inhalten besteht die Verpflichtung, IKT-basierte Konzepte zu evaluieren und somit die Wirksamkeit des Kurses dazulegen.

IKT-basierte Selbstlernprogramme benötigen aufgrund der Darstellung im Internet spezifische Anforderungen zum Datenschutz und müssen wie die Selbstverpflichtung zur Evaluation schriftlich eingereicht werden. Die Einhaltung der Sicherheit der erhobenen personenbezogenen Daten sowie einer größtmögliche Transparenz in Hinblick auf die Speicherung, Verwendung und Löschung der erhobenen Daten sind grundlegend. Dies bedingt u.a., dass personenbezogene Daten und die entsprechenden Kursdaten der Person auf getrennten Servern gespeichert werden müssen. Grundlage sind die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sowie das Telemediengesetz (TMG).

Bei der Anlage eines eigenen Online Präventionskurses im Portal der ZPP muss weiter berücksichtigt werden, dass diese als Konzepte eingereicht werden müssen und erst im Nachgang als Kurs mit entsprechender Kursleitung angelegt werden.

Anbieterqualifikation

Die Kursleitung, die für eine fachliche Betreuung zuständig ist, muss die Grund- und Zusatzqualifikation entsprechend des Leitfadens Prävention erfüllen. Die Kursleitung im Video ist von dieser Voraussetzung ausgenommen und kann im Auftrag der Kursleitung den Kurs anleiten.

Konzeption Online Präventionskurs – praktische Umsetzung

Der Online Präventionskurs muss wie ein klassischer Präventionskurs 8-12 aufeinander aufbauende Kurseinheiten mit einer Dauer von jeweils 45-90 Minuten umfassen und im wöchentlichen Rhythmus stattfinden. Ein großer Vorteil dieser Kurse ist aber der flexible zeitliche wie räumliche Einsatz, die Teilnehmer sind somit nicht an feste Tageszeiten oder Wochentage gebunden. Bei der Umsetzung von Onlinekursen muss der wöchentliche Rhythmus über die Programmierung sichergestellt werden, indem das neue Modul erst nach Beendigung des vorherigen Moduls freigestellt wird. Dies kann z.B. durch eine Erfolgskontrolle oder Dokumentation der Teilnahme am Ende einer jeden Kursstunde mithilfe von Feedbackfragen durchgeführt werden. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass aufgrund der orts- und zeitunabhängigen Durchführung des Programms alle Einheiten (=100%) absolviert werden müssen, damit das Präventionskurs erstattungsfähig ist.

Ausblick: Möglichkeiten und Grenzen der Online-Präventionskurse

Pro

  • Orts- und zeitunabhängig flexibel durchführbar
  • Erschließen neuer Zielgruppen, die sich unter Umständen nicht in einen Kurs trauen bzw. aus zeitlichen Gründen nicht an Kursen teilnehmen
  • Leichteres Erlernen von neuen Übungen durch wiederholtes Ansehen der Übungen für den Kursteilnehmer möglich
  • Qualitative aufeinander aufbauende Kurseinheiten hinsichtlich der Übungsauswahl (von der ZPP überprüft)
  • Qualitativ hochwertige Demonstration der Übungen, da die Übungen unter Laborbedingungen eingedreht werden und bei Bedarf wiederholt werden können

Contra

  • Fehlerkorrektur nicht möglich, kann nur im Video darauf hingewiesen werden
  • Trainingszustand und -intensität sowie spezifische Vorerkrankungen können nur bedingt berücksichtigt werden: Dies kann zu Über- bzw. Unterforderung der Trainierenden führen
  • Individuelle Betreuung und Motivation durch Kursleiter erst im Nachgang möglich
  • Keine gruppendynamischen Prozesse möglich

Fazit

Ziel von Präventionskursen ist es zum einen den Gesundheitszustand zu verbessern und zum anderen Gesundheitskompetenz und -verhalten zu vermitteln, so dass diese nach Ende der Maßnahmen selbstständig weiter angewandt und in den privaten wie beruflichen Alltag integriert werden kann [6].

Während klassische, verhaltensbezogenen Präventionsmaßnahmen überproportional Frauen und ältere Teilnehmer ansprechen, bieten Online-Präventionsangebote die Möglichkeit neue Zielgruppen zu gewinnen, die ansonsten keine präventiven oder gesundheitsförderlichen Kursangebote nutzen würden.

Mit der weiten Verbreitung von Smartphones über Alters- und Bildungsschichten hinweg besteht darüber hinaus die Möglichkeit die Eintrittsbarriere zu Präventionsangeboten zu senken und einen größeren Personenkreis im Sinne der Chancengleichheit zu gewinnen.

Sie stellen eine innovative und erfolgsversprechende Alternative zum herkömmlichen „Praxis“-Kursprogramm dar, um Kursteilnehmern neue motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Gesundheitskompetenzen zu vermitteln.

Noch ist die Evidenzlage für Online Kursangebote, die als Präventions- und Gesundheits-Apps angeboten werden, insgesamt schwach. Erste Studien zur Nutzung von Apps zeigen positive in Bezug auf die Zunahme körperlicher Aktivität und eine Anpassung der Ernährung bzw. der Gewichtskontrolle erfreuliche Auswirkungen [9, 10]. Mit zunehmender Erfahrung zu IKT-basierten Selbstlernprogrammen und dem Wissen, welche Merkmale Wirksamkeit und Akzeptanz beeinflussen, wird sich das Qualitätsniveau und das Nutzerverhalten von Online Präventionsangeboten weiter verbessern.


Autor / Kontakt:

Prof. Dr. Karsten Witte

IST-Hochschule für Management
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T +49 211 86668 0
F +49 211 86668 30
kwitte@ist-hochschule.de
https://www.ist-hochschule.de/dozent/716/witte


Literaturverzeichnis

[1]       Healy, G. N., Winkler, E. A. H., Owen, N., Anuradha, S. & Dunstan, D. W. (2015). Replacing sitting time with standing or stepping: associations with cardio-metabolic risk biomarkers. European heart journal, 36 (39), 2643-2649. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehv308

[2]       Froböse I., Bialla B., Wallmann-Sperlich B. (DKV Deutsche Krankenversicherung, Hrsg.). DKV Report 2018. Wie gesund lebt Deutschland? Zugriff unter https://www.ergo.com/de/DKV-Report. (25. September, 2020).

[3]       Statista. Nutzerentwicklung bei Wearables und Fitness-Apps in Deutschland in den Jahren 2017 bis 2024 (in Millionen Nutzern) [Graph]. In Statista. Zugriff am 08. November 2020, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1046996/umfrage/marktentwicklung-von-wearables-und-fitness-apps-in-deutschland/ (22. September, 2020).

[4]       ZPP (Zentrale Prüfstelle Prävention). Information für Anbieterinnen und Anbieter von IKT-basierten Selbstlernprogrammen nach § 20 SGB V. 2020

[5]       MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen); GKV-Spitzenverband: Präventionsbericht 2019. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung: Primärprävention und Gesundheitsförderung. Berichtsjahr 2018. Essen. Zugriff unter https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/praevention__selbsthilfe__beratung/praevention/praeventionsbericht/2019_GKV_MDS_Praventionsbericht_barrierefrei.pdf (22. September, 2020)

[6]       GKV-Spitzenverband: Leitfaden Prävention. Handlungsfelder und Kriterien des GKV-Spitzenverbandes zur Umsetzung von §§ 20 und 20a SGB V vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom 01. Oktober 2018. Berlin. 2018. Zugriff unter https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/presse/publikationen/Leitfaden_Pravention_2018_barrierefrei.pdf (22. September, 2020)

[7]       Geisel T. Welche Angaben werden für die Kursprüfung benötigt. (Zentrale Prüfstelle Prävention, Hrsg.) Zugriff unter https://www.zentrale-pruefstelle-praevention.de/admin/download.php?dl=angaben_kurspruefung (22. September, 2020)

[8]       Jordan S., von der Lippe E. Teilnahme an verhaltenspräventiven Maßnahmen. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). (2013) Bundesgesundheitsblatt · 56(5/6):878-884 · doi.org10.1007/s00103-013-1664-y

[9]       Rutz, M.; Kühn, D. & Dierks, M.-L.: Kapitel 5. Gesundheits-Apps und Prävention. In: Albrecht, U.-V. (Hrsg.), Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA). Medizinische Hochschule Hannover, 2016, S. 116-135. urn:nbn:de:gbv:084-16040811288. http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=60010

[10]     Fischer, F. Digitale Interventionen in Prävention und Gesundheitsförderung: Welche Form der Evidenz haben wir und welche wird benötigt? Bundesgesundheitsblatt 2020 · 63:674–680. https://doi.org/10.1007/s00103-020-03143-6